Abschiebungen

Abschiebungen

Man kann sicher lange und ausführlich darüber streiten – und ich habe es auch schon getan – ob es überhaupt Abschiebungen geben sollte und wenn ja, in welchen Fällen. Auch muss man sich darüber unterhalten, ob die Art und Weise mancher Abschiebung noch mit der Menschenwürde vereinbar ist. Alles Dinge, über die man lange diskutieren kann und über die dringend diskutiert werden muss. Worüber man aber nicht streiten muss, ist die Tatsache, dass es doch absolut idiotisch ist, wenn Menschen abgeschoben werden, die sich bereits integriert haben, die Angehörige mit Aufenthaltserlaubnis oder sogar deutscher Staatsbürgerschaft hier haben. Und es ist absolut nicht hinzunehmen, dass Menschen abgeschoben werden, obwohl deren Fall noch bei der Härtefallkommission in Bearbeitung ist. 

In den letzten Tagen sind mit zwei Fälle bei Facebook über den Weg gelaufen, die ich hier einfach mal rein kopiere. Eine weitere Kommentierung erspare ich mir und euch (das würde eh nur irgendwas mit vielen Kraftausdrücken und der Frage nach der geistigen Gesundheit einiger Verantwortlicher werden).

Bericht von Birgit Huonker (MdL, Die Linke) über eine Abschiebung in Riegelsberg, inklusive der Vorgeschichte, via Refugees Welcome Saarland (und der zweite Text wird kürzer) vom 13. Mai:

Gestern Nacht gab es in Riegelsberg eine brutale Abschiebung einer syrischen Frau mit ihren zwei Kindern: 12 und 14 Jahre alt. Wer bisher nur das platte Wort “Abschiebung” gehört hat und sich darunter nichts vorstellen kann, hier mal eine komplette Beschreibung dieses in meinen Augen unmenschlichen Vorgehens. Und für alle AfD-Fans: Ihr seid dafür auch verantwortlich!

Buthaina Mhana (40) reiste mit ihren 2 Kindern aus Syrien über Ägypten und Spanien ins Saarland ein. Ihre Eltern und ihre Geschwister (beide Apotheker) wohnen bereits in Riegelsberg. Buthaina wollte nicht mit ihren Kindern übers Meer, was ich als sehr verantwortlich erachte. Sie versuchte, in die deutsche Botschaft in Kairo zu gelangen – vergeblich. Sie kam nicht mal auf das Gelände. So probierte sie es ebenfalls verzweifelt bei der französischen Botschaft mit dem gleichen Resultat. Nur die spanische Botschaft öffnete ihr die Tür und nahm ihre Fingerabdrücke. Damit fiel sie unter die Dublin-II-Regelung, die besagt, dass Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben müssen, welches sie als erstes betreten. Die spanische Botschaft ist spanisches Hoheitsgebiet. Dabei wollte sie als Alleinerziehende Mutter zu ihrer Familie nach Riegelsberg.

Im September 2015 gelangte sie endlich ins Saarland und wurde Anfang Oktober gleich nach Riegelsberg überstellt, denn da wohnen ja ihre Verwandten. Sie bezog eine kleine Wohnung in der ersten Etage eines Hauses, die Eigentümer sind ein älteres Ehepaar, 75 und 76 Jahre, die ihre obere Wohnung vermieteten.
Die Kinder Aya und Fouad besuchten sofort die Heusweiler Schule. Beide Kinder lernten schnell deutsch, Aya wurde aufgrund ihrer exzellenten englisch-Kenntnisse gern als Dolmetscherin in der Schule eingesetzt. Sie sang im Schulchor und lernte auch wie ihr Bruder schnell deutsch.

Im Februar erhielt Buthaina die Ablehnung als Flüchtling in Deutschland und einen Abschiebe-Bescheid. Sie sollte Deutschland freiwillig verlassen. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an die Härtefallkommission. Die versicherten mir, dass sie nicht abgeschoben werde, solange ihre Verfahren bei der Härtefallkommission liegt. Ich schrieb auch und bat um Hilfe.

Soweit die Theorie.

Vor zwei Wochen hat wohl Thoma de Maiziere (CDU) den Ländern die Anweisung erteilt, verstärkt abzuschieben. Dies wird derzeit vollzogen. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Kirchenasyl-Fälle in Kürze ansteigen wird.

Die gestrige Nacht wurde mir von zwei Seiten geschildert. Zunächst von der Patin, die sich um Buthaina kümmerte. Sie sei gegen 2.30 Uhr von Buthaina angerufen worden und sie sei sofort zu ihr gefahren. Dort standen 3 Polizeiautos und ein weißer Bus vor dem Haus, die 5 Polizisten hätten alle zur Eile angetrieben. Die Kinder weinten, Buthaina weinte. Ein Arzt war auch dabei. Die Patin schilderte mir unter Tränen, Buthaina und ihre Kinder seien “wie Schwerverbrecher” behandelt worden,” es fehlte völlig die Menschlichkeit”. Buthaina wollte sich von ihrer Mutter verabschieden, da seien die Polizisten dazwischen gegangen und haben zur Eile angetrieben. Jeder durfte einen 20kg-Koffer packen, es war jedoch so eilig, dass Foads Koffer stehen blieb….Er hat von dem wenigen nun gar nichts mitnehmen können…

Als ich Buthaina um 7.30 Uhr anrief, saß sie schon im Flugzeug nach Madrid in Frankfurt und ich konnte noch die Flugzeug-Durchsage hören. Das waren die letzten Worte, die ich mit ihr sprechen konnte.

Als ich abends das ältere Vermieter-Ehepaar besuchte, stand ihnen der Schock noch im Gesicht. Der 76jährige Mann weinte nur noch. Nun deren Schilderung: Nachts klingelte es Sturm, der Mann ging an die Haustür und öffnete einen Spalt, weil er ja nicht wußte, wer um die Zeit so stürmisch klingelt. Seine Frau schaute aus dem Fenster und sah die vielen Autos vor ihrem Haus und wie die Polizisten ums Haus gingen. Eine Polizistin hatte eine Taschenlampe dabei. An der Haustür wurde ihm ein Papier unter die Nase gehalten und er wurde gefragt, ob Frau Mhana hier wohnen würde. Als er bejahte und fragte, was denn sei, erhielt er zur Antwort, das ginge ihn nichts an. Er fragte nach dem Namen des Beamten. “Polizei”. Als er nochmal fragte, wie der Polizist denn heißen würde, erhielt er die gleiche Antwort: “Polizei.” Der Beamte sagte ihm NICHT seinen Namen. Sie drückten ihn beiseite und stürmten die Treppe hoch. Schnell klingelte der Vermieter an Buthains Klingel, damit sie sich wenigstens etwas anziehen könnte. Ein Mann in Zivil blieb auf der Treppe stehen und gab sich als Arzt aus Schmelz zu erkennen. Der Vermieter erfuhr von ihm, dass es sich um eine Abschiebung handele. Kurze Zeit später sei die Patin gekommen und auch die Mutter von Buthaina. Dann hörte er viel Weinen und immer wieder die harten Stimmen der Polizisten. Während er mir das erzählte, liefen ihm dauernd die Tränen runter. Es sei furchtbar gewesen. “Sie waren wie meine Enkel.” Aya habe so sehr geweint, Fouad sei regungslos gewesen. Als die ganze Aktion vorbei war, hätten sie den Koffer von Fouad gefunden. Er stand im Flur. Der 76jährige Vermieter fragte mich, ob ich den Zustand der Wohnung mal sehen wollte. Ich konnte nicht. Die Schulsachen, der gespendete alte PC, ihre Küchenutensilien – alles sei zurückgeblieben.

Die Vermieter wollen die Wohnung so belassen, bis die drei wieder zurückkehren. Sie wollen sie zurückhaben. “Es waren gute Menschen, wie unsere Kinder.”

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Der Schulleiter von Fouad und Aya war gestern fassungslos, als er es hörte.

Er sagte mir heute am Telefon, dass jetzt viele Kinder zutiefst verunsichert sind, denn sie seien über Handy natürlich gut vernetzt. Sie haben Angst. Heute Abend habe ich erfahren, dass sie eine Demo machen wollen.

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Das ist der brutale Irrsinn von Dublin II-Gesetzen. Mütter und ihre Kinder werden dafür “bestraft”, wenn sie sich nicht in Gefahr bringen wollen, und nicht übers Meer fliehen. Fast überall in Deutschland gibt es Einzelfall-Entscheidungen, nur nicht in diesen Fällen. Da gibt es irgendwelche Personen, die an ihren Schreibtischen sitzen und über Schicksale entscheiden. Dass vom Krieg traumatisierte Kinder nochmal in Deutschland durch derlei unmenschliche Aktionen traumatisiert werden, ist himmelschreiend!!!!!!!

Ich verstehe sehr gut, dass wir internationale Solidarität in der Flüchtlingsfrage verlangen und wenn wir sie aus Spanien erhalten (Spanien hat einer Überstellung zugestimmt), wir sie auch annehmen sollten.

ABER: wenn deutsche Behörden von September bis Februar brauchen, um eine Entscheidung zu treffen, sich in dieser Zeit die Leute längt auf dem Weg der Integration befinden / bzw. bemühen und die Kinder bereits deutsch sprechen, warum noch diese Unmenschlichkeit?

Und damit ist es nicht genug. Menschen, die abgeschoben werden, dürfen 3 Jahre lang Deutschland nicht mehr betreten. Menschen, die freiwillig Deutschland verlassen, erhalten “nur” eine 1-jährige Wiedereinreise-Sperre. Das bedeutet vorerst für die Kinder: Sie sehen ihre Oma und ihren Opa 3 Jahre lang nicht mehr. Hoffen wir, dass sie bis dahin nicht sterben.

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Zum Schluss und diese Worte wähle ich sehr bewusst: Diese mir geschilderte Abschiebepraxis erinnert mich an Gestapo-Methoden, als man Juden transportiert hat. Nur der Endpunkt ist ein anderer.

FAZIT; Das ist gelebte CDU-Politik. Das C sollten sie wirklich endlich aus ihrem Namen streichen. Es ist mittlerweile eine Beleidigung für alle, die sich christlich verhalten. Ich weiß natürlich sehr wohl, dass es auch verantwortliche und sozial eingestellte Politiker dieser Partei gibt, deren ehrenamtlichen Einsatz in sozialen Bereichen ich sehr wertschätze und achte, wie Willi Gehring oder Jutta Christmann

Ohnmächtig, wütend, hilflos – unendlich traurig und niedergeschlagen. Woher wir Ehrenamtlichen eigentlich noch die Kraft nehmen sollen und weiterhin motiviert bei der Integration helfen sollen – kann mir das jemand erklären?

Der zweite Fall dann von heute, des geht um ein geplantes Konzert im Schlachthof Wiesbaden, das abgesagt wurde:

ACHTUNG – DAS KONZERT FÄLLT ERSATZLOS AUS!
Dramatischerweise wird der Sänger der Band sehr wahrscheinlich in Bälde abgeschoben, einem anderem Bandmitglied droht dasselbe Schicksal… das empfinden wir angesichts der Fluchtgeschichte der Band aber auch ihrer offensichtlich schnellen Integration in die deutsche Kulturlandschaft als erschütternd… Hier das Statement der Band dazu:

KHEBEZ DAWLE is currently on a break, because the singer is going to be deported, and one other band member is in risk of having the same case any given time.
Under these conditions, we are not able to perform concerts, we hope for your understanding.
We would like to thank everybody involved in the scheduled concerts for their kind support, and – circumstances permitting – look forward to seeing all of you on another occasion.

Gekaufte Karten können dort, wo sie gekauft wurden, zurückgegeben werden.

Und jetzt will ernsthaft jemand behaupten, das wäre alles okay so? Wirklich? Es scheint keine Möglichkeit zu geben, manche Straftäter abzuschieben, die bleiben hier, aber Familien mit Angehörigen bei uns und Menschen, die sich integriert haben und für ihren Lebensunterhalt selbst arbeiten werden abgeschoben? Wirklich? Mir ist schlecht…

Beitragsfoto von cocoparisienne via pixabay, Lizenz: CC0 Public Domain

Autor: Carsten Dobschat

Geboren 1974, links-liberal, früher Mitglied der SPD und Jusos, dann lange parteilos, später Piratenpartei, wieder parteilos und seit November 2016 wieder SPD-Mitglied - wenn auch mit Bauchschmerzen, aber man muss ja schließlich was tun gegen den Rechtsruck.

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