Es hätte weder ein Eklat sein sollen, ebenso wie es nicht die Verkündigung der Offenbarung hätte sein können, zu denen es im einen oder anderen Medium gemacht wurde. Aber es hätte der viel besagte Lichtstreif am Horizont sein können, ein Lebenszeichen der kritischen Selbstbetrachtung. Der Diskussionskultur über das, was Qualität ausmachen kann und welchen Anteil sie dann vielleicht ausmachen sollte, im Angesicht des massenmedialen Proporzes.
Als dieser immer selbstbewusste, dieser trotz seines Alters und der Veranstaltungsdauer hellwache Marcel Reich-Ranicki vorgestern Abend auf die Bühne kam und die versammelten Elite der deutschen Sendeanstalten aus dem Schlaf der (selbst-)gerechten zu wecken versuchte. Polemisch und zornig wie meist, vom eigenen Standpunkt endlos überzeugt, aber nicht so Platt und Pauschal wie es einige gerne darstellen. So finde ich zumindest.
Statt ernsthafter Reaktion, wurde Reich-Ranicki von Ihnen gefressen und verdaut; und wird solcherart am Freitag auch versendet werden. Um letztlich nochmal der Anregung des voyeuristischen Hormonpegels, kurz vor dem zu Bett gehen zu dienen. Aber damit lässt man es nicht bewenden.
Da wird viel eher das Versprechen Gottschalks – in mehr als einer Hinsicht – zum Gebrechen Reich-Ranickis gemacht.
Harald Martenstein schreibt in der Zeit "Das System verdaut alles.". Besser kann man es wohl wirklich nicht ausdrücken.
Vom Partyschreck zum Partysnack sozusagen…
Im Angesicht des Kritikers, stellte sich die deutsche Verdauungs-Elite dem Sturm der Kritik, (ver-)schluckte den Tapferen kurzerhand und heraus kommt mitnichten die erhoffte frische Brise, die es (mit etwas Glück) hätte werden können, sondern ein leises Lüftchen mit durchaus unangenehmen Beigeruch.
Was war jetzt dieses, fragt man sich? Die Neuinterpretation von Don Quijote??
Ich hatte mich schon gewundert, warum Thomas Gottschalk einfach so eine Sendung über Qualität im deutschen Fernsehen zusagen kann. Es hätte mich positiv überrascht, wenn das tatsächlich funktioniert hätte. Aber es sollte nicht sein. Zugegeben, die Hoffnung war vage. Herr Reich-Ranicki selbst war wohl skeptisch, aber diese Form der Routine mit Beigeschmack, die es letztlich wurde, überrascht mich zumindest doch.
Von den Privatsendern hatte ich ohnehin nicht allzu viel erwartet. Rein quantitative Betrachtungen eigenen sich nun mal nicht als alleiniges Merkmal der Beurteilung von Qualität. Quantität ist so eine Sache. Sie nährt sich aus sich heraus und vermehrt sich auch so, bis es sich wirklich vollkommen abgeschliffen hat. Erst dann muss etwas neues her. Möglichst nicht zu anders, zu Neu. Denn das birgt ebenso Chancen wie Risiken und die scheut man nunmal wie die Pest. Innovation kostet mehr. Man will sich letztlich auf bewährtes verlassen; und zersetzt damit schleichend den Raum, der für Qualität noch bleibt. Letztlich werden also bekannte Schemata immer wieder vor neuem Hintergrund aufgeführt.
Dem Selbstbild wahrlich ist jede Diskussion fremd. Prosieben/Sat.1 gibt das auch unumwunden zu. "Ich sehe keinen Handlungsbedarf. Wir bieten genügend Qualität und genügend Populäres".
Von den Öffentlich-rechtlichen Sendern hingegen, hätte ich zumindest etwas mehr Ehrgeiz erwartet. Immerhin gibt es (noch) Sendungen die
Infomation und Qualität bieten. Nur leider werden diese Sendungen in
den Zeitraum von 23:00 bis 01:00 Uhr verbannt. Nur verschämt
angekündigt oder auch mal gar nicht. Vom Regionalprogramm einmal
abgesehen, wird der Qualitätsteil des Programms dann auch auf die
diversen Sendeanstalten verteilt. Hauptsache einer nimmt den Auftrag
irgendwann im laufe der Woche wahr, während der Rest den privaten
Nachläuft oder altbekanntes Totsendet.
Auf der re:publica 08 habe ich bei der Podiumsdiskussion "Was ist öffentlich-rechtlich im digitalen Zeitalter?" [MP4] einen guten Beitrag aus dem Publikum gehört. Sinngemäß war die Aussage, dass der Zweck der Öffentlich-rechtlichen Sender nun ja wohl nicht darin bestehen könne, den Nonsens der Privatsender auch noch mit ins Programm aufzunehmen und deren Sendungen in schlechterer Form zu kopieren. Dito.
Diese wenigen versteckten Sendungen dann Auszuzeichnen, ist zwar richtig, aber auch ein Feigenblatt im Angesicht der Stagnation.
Das Öffentlich-rechtliche sieht seine Zukunft wohl derzeit im Netz. Dafür wenigstens kann man seine Rundfunkgebühren noch entrichten. So ungerecht deren Erhebung auch derzeit ist. Oder für den Rundfunk eben. Der sich vom kommerziellen Druck befreit durchaus Kultur und Qualität auch in der Berichterstattung leisten mag. Sender Deutschlandradio, HR2 und WDR5 deren alleiniger Zweck sich nicht in dem Ruf klassische Musik zu Senden erschöpft. Den Podcasts der Rundfunkanstalten sei dank.
Nur eines hätte man dann doch aus dem Roman mit den Windmühlen lernen können. So wahnsinnig das treiben des Don Quijote auch scheint, so nötigt einem dieses ehrliche Anstürmen gegen die Windmühlen doch eines ab, Respekt für das ehrliche Bestreben etwas zu bewegen. Selbst wenn die eigene Welt eine andere ist und für einen selbst Windmühlen vielleicht eben nur Windmühlen sind.
Die Intendanten von Sat.1, RTL, ProSieben und ARD haben bereits abgesagt. Allein der Intendant des ZDF scheint z.Z teilnehmen zu wollen. Die Sendezeit wurde aber von der versprochenen Stunde auf eine Halbe geschrumpft. In der darf am Freitag um 22:30 Uhr Marcel Reich-Ranicki mit Thomas Gottschalk über die Qualität des deutschen Fernsehens unterhalten.
Kommentiert wird das dann auch noch mit den Worten: "Wir sind offen für Kritik und räumen ihr gerne Raum ein.". Ja als Mitternachtssnack unserer Verdauungs-Elite darf sich Reich-Ranicki am Freitag versenden lassen. Als sich ereiferndes Männchen um den voyeuristischen Kitzel nochmals aufzubereiten, den der herbei zitierte Eklat ausgelöst hat. Wohl bekommts.
Statt dessen wird tatsächlich darüber schwadroniert, dass die Übelaunigkeit des älteren Herrn doch wohl eher an dem langen Abend und dem sitzen auf harten Stühlen gelegen haben muss, an der Aufbereitung des Dargebotenen als an dessen Qualität. Das sein Urteil zu pauschal gewesen sei, ohne sich dabei selbst um Differenzierung zu bemühen. Plötzlich hagelt es aus dem Glashaus massenhaft Steine und dabei wird das eigentliche Thema Qualität bisher meist am Rande abgebügelt. Wozu auch, ist der egentliche Auslöser längst der Verdauungsroutine des deutschen Fernsehens und seiner Promis zum Opfer gefallen. Nur die Offizielle auslieferung erfolgt erst am Freitag.
Da erblödet sich die ewig ulkige Barbara Schöneberger bei Beckmann ob der angeblichen Pauschalität der Rede zu unterstellen er wolle aufgrund seines Alters wohl nochmal per Krawall ins Rampenlicht. Anstatt das ihn jemand nach seiner Differrenzierten Meinung zu den Nominierten und Preisgekrönten befragt.
Da unterstellt Bastian Pastewka beim Fernsehlexikon Herrn Ranicki einen "Anfall der Überforderung" hätte wohl zu den Worten geführt und raisoniert:
"Allein Atze Schröder, Ingolf Lück, Ralf Schmitz und das Schweizer Duo „Ohne Rolf“ liefen auf und machten ihre Sache allesamt bestens."
Darum ging es zwar nicht, aber über Geschmack lässt sich nun mal Streiten.
Nur:
"Es ist bedauerlich, dass ein Großteil von Branche und Publikum ihm beipflichten werden, nachdem sie heute Abend die über weite Strecken spannungsarme Show im ZDF verfolgt haben."
ist eben nicht der Grund dessen, was Reich-Ranicki zu seiner Absage bewegt hat. Die Qualität der nominierten und preisgekrönten Beiträge war durchaus Thema, nicht nur die spannungsarme Aufbereitung der Verleihung oder die schlechten Witze der "nicht Entertainer"! Während der Rest seine Arbeit ja "alleamt bestens" gemacht hat.
Die Mehrheit des Publikums ist auch wohl nicht so dumm, nur deswegen zuzustimmen, weil sie die gezeigte Verleihung langweilig fanden!! Man kann Kritik auch marginalisieren indem man Sie einfach pauschal nur auf das bezieht, was einem für die eigene Argumentation am besten in den Kram passt. So erläutert Pastewka in seinem Nachtrag zu besagten Artikel auch:
"Ich beziehe mich nur auf die Verleihung an sich, nicht auf nachträgliche Kommentare Reich-Ranickis! ".
Was soll das heissen? Das ein 5 Minütiger (mal unterstellt) spontaner Auftritt Marcel Reich-Ranickis als Basis dieser Beurteilung vollkommen ausreicht? Erst schießen und dann Fragen stellen? Entschuldigung, aber ich finde dabei kommt mehr PR-Lobhudelei heraus, als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem gesagten.
Herr Ranicki hat sich eben NICHT über die Aufbereitung allein beschwert oder die harten Stühle. Er hat direkt ausgesprochen, dass die Qualität des gezeigten großteils Fragwürdig war und die Perlen durch die Präsentation, sei es jene im täglichen Programm oder jene während der Auszeichnung diesen nicht gerecht wird, sondern das Feigenblatt sind, als das sie jetzt auch genutzt werden. Marcel Reich-Ranicki hingegen sprach von den "vielleicht zu Recht ausgezeichneten".
Anstatt zumindest soviel Respekt zu haben, Herrn Ranicki auch zu befragen, wird ihm pauschalität unterstellt und so versucht abzuwiegeln.
Bei ad sinistram wird der allgemeine Tenor wohl am zutreffendsten beschrieben. Mehr kann man zu dieser unwürdigen Darbietung der angesprochenen wohl nicht hinzufügen. "Nur der Irre übt Kritik".
Letztlich bleibt einem aber immer eine Wahl. Den alten Rat von Peter Lustig zu befolgen: Abschalten!
Folgenlos wird das bleiben- der Ansicht bin ich auch. Aber zum Fernsehen wird in der Tat noch niemand gezwungen; versucht man sich der massenmedialen Irrenhausveranstaltung, um es freundlich zu formulieren, zu entziehen, stellt man wohl fest, dass man andere Schwerpunkte setzen kann, ohne sich jedoch gänzlich davon freimachen zu können- zu stark durchdringt diese ganze Industrie unseren Alltag.
Aber es bleibt dabei: diejenigen, die sich lautstark und permanent über das Programm beschweren sind die, die es sich ansehen. Macht das Sinn?
Den Fernseher aus dem Fenster zu werfen kann ja wohl nicht die einzige Lösung sein. Ich finde die Forderung nach einer fairen und kritischen Auseinandersetzung über Inhalte, die auch in diesem Artikel gewünscht wird, durchaus angemessen. Auch kann ich den Ärger über das ganze Theater und die Sympathie mit Reich- Ranicki gut nachvollziehen! Es ist doch so- der “Partysnack” kann nur dann den Appetit verderben, wenn es ihn überhaupt gibt.